Was hilft in sprachlosen Momenten?
Ruth Hermanns: Ich merke oft, dass die Menschen in sprachlosen Momenten Symbole, Zeichen oder Berührungen suchen. Also nach einer Hand tasten oder manchmal auch selbst so etwas kreieren. Neulich wurde ein Mann eingeliefert, der schon nach zwei Tagen starb. Die Pflegenden hatten seine Frau und die Tochter ermutigt im Wohnzimmer des Hospizes etwas zu essen, da ihr Mann so stabil aussah. Als sie vom Essen zurückkamen, war er gestorben.
Die Situation war für die Familie furchtbar, denn sie wollten dabei sein und hatten das Gefühl, ihn im Stich gelassen zu haben. Da sagte die Frau dann: Wir brauchen jetzt was Religiöses. Im Gespräch erzählte sie mir, dass ihr Mann lange krank war und sie mit ihm ab und an sonntags den Gottesdienst geguckt habe. Oft hätten sie Hand in Hand zusammengesessen. Und so kam die Frage auf, ob wir etwas zusammen beten könnten.
Wir haben ihren Mann zusammen verabschiedet und darüber gesprochen, ob sie dabei seine Hand halten wolle. Sie hat zu ihm geblickt und ich habe gemerkt, dass sie innerlich zurückzuckte, weil sie an dem Punkt gemerkt hat: Er ist tot, kann ich da einfach so seine Hand nehmen? Und während wir das Vaterunser gebetet haben, hat sie ganz selbstverständlich mit der einen Hand nach seiner gegriffen und die andere Hand ihrer Tochter hingehalten, die danebenstand. Sie hat eine Brücke zu ihrer Tochter gebaut. Manchmal bin ich ganz gerührt, dass die Menschen eine Symbolik für sich finden, die ihnen hilft weiterzumachen.
Konkrete Anfragen nach Riten wie Kommunion, Krankensalbung oder Krankensegen haben die Menschen von sich aus dagegen weniger. Da ist es als Seelsorgerin eher wichtig den Punkt zu erwischen, um das anzusprechen. Ich frage dann nach, ob es ein Bedürfnis ist, mache aber auch deutlich, dass keine Erwartungen an meine Nachfrage geknüpft sind. Es ist eher eine Ermutigung zu sagen, das gibt es auch noch. Da erlebe ich schon öfter, dass Menschen positiv auf das Angebot reagieren, obwohl sie von sich aus vielleicht nicht nachgefragt hätten.
Den älteren Menschen sind diese Riten noch sehr vertraut, die wissen genau, dass sie zum Beispiel eine Krankensalbung wollen. Die jüngeren Menschen wollen eher wissen, wer kommt und in welcher Art und Weise findet die Krankensalbung statt. Die Krankensalbung wird oft mit dem unmittelbaren Sterben in Verbindung gebracht. Eine Alternative bietet da der Krankensegen. Denn das Ritual soll natürlich als wohltuend empfunden werden.