Wir können uns immer irren
Als ich einem anderen Mann von dieser Erfahrung erzählte, sagte er, das würde ihn verunsichern. Er sei sich immer sicher gewesen, bei schwerer Krankheit so aus dem Leben zu gehen, wie er gelebt habe, selbstbestimmt und autonom. Nun sei ihm der Gedanke gekommen, ob er da nicht vielleicht doch etwas verpasse. "Das kann gut sein", habe ich ihm geantwortet.
Bei komplexen Entscheidungen können wir uns eben immer auch irren. Deshalb sind wir uns auch selten hundertprozentig sicher, meist spricht vieles für und manches gegen eine Option. In einer Krankheitssituation, die häufig wenig mit Selbstbestimmung zu tun hat, dafür viel mit Kontrollverlust und gefühlsmäßigen Achterbahnen, ist es erst recht schwer, eine "richtige", felsenfeste, sichere Entscheidung zu treffen. Alle politischen und rechtlichen Vorschläge, wie man bei assistiertem Suizid verfahren sollte, fordern aber genau das, eine nachprüfbare Entscheidung ohne Zweifel, die dann das Prädikat "richtig" erhält.
Manchen gelingt das, sie betonen vor Kameras, dass sie sicher sind, sterben zu wollen. Und ich frage mich: Haben diese Menschen jetzt überhaupt noch die Möglichkeit, erhobenen Hauptes die Meinung zu ändern? Darf man Menschen, zu deren Menschsein der Zweifel gehört, in eine solche Situation bringen?